Positionspapier zur Ausweitung des allgemeinen Konzepts für das Risikomanagement im Rahmen der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit

Hintergrund

Mit der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit hat die Europäische Kommission ihre langfristige Vision für die Chemikalienpolitik der Europäischen Union im Rahmen des Green Deals vorgestellt. Der Verband der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie e.V. (VdL), die Deutsche Bauchemie e.V., der Industrieverband Klebstoffe e.V. (IVK), der Hauptverband der Deutschen Holzindustrie (HDH), der Bundesverband Farbe, Gestaltung, Bautenschutz sowie der Bundesverband Korrosionsschutz e.V. (BVK) unterstützen grundsätzlich die Ziele des europäischen Green Deals und die nachhaltige Nutzung von chemischen Produkten, wie z.B. Lacken, Farben, Druckfarben, Baustoffen, Klebstoffen und Klebebändern. Die Mitgliedsunternehmen der unterzeichnenden Verbände leisten mit innovativen Produkten und ressourceneffizienten Anwendungen einen wichtigen Beitrag zur Erreichung des ambitionierten Ziels einer sicheren und nachhaltigen Wirtschaft. Allerdings enthält die Chemikalienstrategie viele Aspekte, die dies in Zukunft erheblich erschweren würden und daher den Zielen des Green Deals entgegenstehen.

Eine der geplanten Maßnahmen ist die Ausweitung des allgemeinen Konzeptes des Risikomanagements. Dieses Konzept1 sieht vor, dass allein auf Basis der intrinsischen Gefahreneigenschaften eines Stoffes automatisch regulatorische Maßnahmen, wie z. B. Verwendungsverbote, ergriffen werden. Die Exposition wird dabei nicht berücksichtigt, was bedeutet, dass regulatorische Maßnahmen ohne eine Risikobewertung, allein aufgrund der intrinsischen Eigenschaften des Stoffes ergriffen werden.  

Das allgemeine Konzept der Risikobewertung findet aktuell im Rahmen von Artikel 68, Absatz 2 der REACH-Verordnung bereits Anwendung. Allerdings ist dies hier auf Stoffe mit CMR-Eigenschaften der Kategorien 1A und 1B und auf die Verwendung durch den privaten Endverbraucher beschränkt. Ansonsten fußt das europäische Chemikalienrecht weitgehend auf bewährten risiko-basierten Ansätzen.

Im Rahmen der Chemikalienstrategie soll das allgemeine Konzept des Risikomanagement nun in zwei Aspekten ausgeweitet werden: 

  • Die intrinsischen Gefahreneigenschaften sollen von CMR Stoffen der Kategorien 1A und 1B auf endokrin-wirkende Stoffe und Stoffe mit PBT- und vPvB-Eigenschaften ausgeweitet werden. In einem zweiten Schritt soll dann eine Erweiterung auf atemwegssensibilisierende, immuno- und neurotoxische Stoffe, sowie auf Stoffe mit spezifischer Zielorgan-Toxizität (STOT) geprüft werden.
  • Außerdem soll der Anwendungsbereich nicht nur für private Endverbraucher greifen, sondern auf gewerbliche Verwendung durch den professionellen Handwerker ausgeweitet werden. Damit würden im Kontext von REACH private Endverbraucher und professionelle Anwender chemikalienrechtlich gleichgestellt.


Bewertung

Im Falle von besonders gefährlichen Stoffen, wie CMR-Stoffen der Kategorie 1 und einer Exposition gegenüber besonderes vulnerablen oder unerfahrenen Gruppen, wie dem privaten Endverbraucher, kann ein gefahrenbasierter Ansatz, wie das allgemeine Konzept für das Risikomanagement sinnvoll sein. Im Rahmen des Vorsorgeprinzips wird so ein sehr hohes Verbraucherschutzniveau effizient sichergestellt. Ferner würde eine spezifische Risikobewertung hier im Allgemeinen zu keinem anderen Ergebnis kommen. 

Abgesehen von diesem besonderen Fall, darf bei der Beurteilung chemischer Stoffe allerdings nicht nur einseitig auf die intrinsischen Eigenschaften geblickt werden. Auch die Exposition bei der Herstellung und Verwendung und damit das tatsächliche Risiko müssen in die Beurteilung einfließen. Aufgrund der vielen Neueinstufungen im Rahmen des CLH-Verfahrens durch die Ausweitung auf neue Gefahrenklassen würde ein rein gefahrenbasierter Ansatz keinerlei Planungssicherheit bieten. Darüber hinaus könnten sich diese Kriterien je nach den Entwicklungen des UN-GHS ändern. Dies macht es für unsere Industrien schwierig bis unmöglich, abzuschätzen, welche Rohstoffe zukünftig verfügbar sein werden. Ferner kann dieser Ansatz zu der paradoxen Situation führen, dass ein Stoff in einer nachweislich sicheren Anwendung nicht zum Einsatz kommen kann, was der Glaubwürdigkeit des Chemikalienrechts schaden würde und auch negative Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit haben kann. In der Tat hat bereits heute die CLH-Einstufung chemischer Stoffe erhebliche und häufig ungerechtfertigte Auswirkungen in nachgeschalteten Rechtsgebieten, die auf die CLH-Einstufung Bezug nehmen. Im Gegensatz dazu liefert das bewährte wissenschaftsbasierte Konzept der spezifischen Risikobewertung deutlich akkuratere Ergebnisse und kann somit zur Ableitung zielgenauerer regulatorischer Maßnahmen herangezogen werden. Es sollte somit weiterhin die Basis der Chemikaliengesetzgebung bilden.  

Da das wissenschaftsbasierte Konzept der Risikobewertung deutlich fundiertere regulatorische Entscheidungen zulässt, wird die Ausweitung des allgemeinen Konzeptes für das Risikomanagement auch innerhalb der Wissenschaft sehr kritisch gesehen.2,3,4  

Neben den grundsätzlichen Defiziten des allgemeinen Konzeptes für das Risikomanagement ist insbesondere die chemikalienrechtliche Gleichsetzung von professionellen Verwendern und privaten Endverbrauchern unverständlich. Es bestehen große Unterschiede, insbesondere durch die fundierte Ausbildung in Deutschland und die Tatsache, dass im Rahmen von verpflichtenden Arbeitsschutzmaßnahmen persönliche Schutzausrüstung verwendet werden kann. Der Umgang mit „arbeitsspezifischen Gefahrstoffen“ ist Teil der gesetzlich geregelten Ausbildung in Deutschland.5 Zudem erfolgen regelmäßige Gefahrstoffunterweisungen, die jeweiligen Berufsgenossenschaften überwachen Berufskrankheiten und -unfälle engmaschig und sind darüber hinaus präventiv bei ihren Mitgliedsunternehmen tätig.  

Eine Gleichsetzung der professionellen Verwendung mit der Endverbraucheranwendung würde sowohl die immense Qualität der Ausbildung in Deutschland negieren als auch das hohe Arbeitsschutzniveau in Frage stellen. Die Gleichstellung von Verbrauchern und Handwerk wäre zudem eine Herabsetzung der Berufe, die sich dadurch auszeichnen technisch anspruchsvolle Arbeiten mithilfe entsprechender Produkte, Arbeitsgeräte und Arbeitsverfahren auszuführen. Es liegen keinerlei Daten zu Problemen im Umgang mit berufsspezifischen Gefahrstoffen vor, die diese Gleichstellung auch nur im Ansatz rechtfertigen würden. 

Auf der anderen Seite würde die Ausweitung erhebliche Konsequenzen für professionelle Anwender nach sich ziehen. Die Hersteller von Lacken, Farben, Druckfarben, Baustoffen, Klebstoffen, Klebebändern und deren Kunden sind auf eine breite Basis chemischer Rohstoffe angewiesen, damit die gewohnte Vielfalt an qualitativ hochwertigen und spezialisierten Produkten auch in Zukunft verfügbar bleibt. Gerade um die Ziele des Green Deals zu erfüllen, sind verschiedenste Nachhaltigkeitsfunktionen (z.B. Korrosionsschutz an Brücken oder Windrädern, Leichtbaukonstruktionen) dieser Produkte erforderlich. Da der Anwendungsbereich des allgemeinen Konzeptes auf neue Gefahrenklassen erweitert werden soll, die teilweise noch nicht in der CLP-Verordnung implementiert sind und somit auch noch keine klaren Kriterien hierfür vorliegen, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht absehbar, welche Produkte betroffen wären. Erschwerend kommt hinzu, dass die Chemikalienstrategie auch in zunehmenden Maße Gruppenansätze vorsieht, wodurch größere Stoffgruppen auf einmal reguliert werden würden. Die ökonomische Folgenanalyse der Chemikalienstrategie des europäische Chemieverbandes CEFIC, welche auch die Ausweitung des allgemeinen Konzeptes für das Risikomanagement berücksichtigt, zeigt auf, dass Farben, Lacke und Klebstoffe/Klebebänder zu den am stärksten betroffenen nachgeschalteten Sektoren gehören.6 Da für die berufliche Nutzung nur noch Produkte zur Verfügung stünden, die chemikalienrechtlich auch für Privatpersonen erhältlich sind, besteht die Gefahr, dass der Stand der Technik hinsichtlich verwendeter Materialien im gewerblichen Bereich nicht aufrechterhalten werden könnte. Hochqualifizierte Gewerbetreibende und Handwerksmeister könnten sich daher in ihrem Leistungsangebot nicht mehr wie bisher von ungelernten Kräften differenzieren. In jedem Fall sollten die Auswirkungen in einer umfassenden Folgenabschätzung untersucht werden.

Teilweise wird argumentiert, dass sich das Arbeitsschutzniveau innerhalb der EU erheblich unterscheidet. Defizite in der Harmonisierung des Arbeitsschutzrechts, sollten jedoch dort adressiert und nicht durch das Chemikalienrecht kompensiert werden. Letztendlich würden dadurch Länder benachteiligt, die ein hohes Niveau der beruflichen Ausbildung und des beruflichen Arbeitsschutzes etabliert haben. Aus den genannten Gründen ist eine Ausweitung des allgemeinen Konzeptes für das Risikomanagement abzulehnen.  

Sollte im Einzelfall Regelungsbedarf auch bei professionellen Anwendern bestehen, so können die bewährten REACH Regelungsinstrumente - wie Beschränkung und Zulassung - greifen. 

Zusammenfassung

Die unterzeichnenden Verbände lehnen eine Ausweitung des allgemeinen Konzeptes für das Risikomanagement für gewerbliche Anwender ab. Das allgemeine Konzept für das Risikomanagement stellt einen gefahrenbasierten Ansatz dar, welcher sich im Gegensatz zum wissenschaftsbasierten Konzept der Risikobewertung nicht zur Ableitung zielgenauerer regulatorischer Maßnahmen eignet. Dementsprechend werden die Pläne der EU-Kommission auch in der wissenschaftlichen Literatur kritisch bewertet. Aufgrund des hohen Niveaus der beruflichen Ausbildung und des Arbeitsschutzes in Deutschland ist eine chemikalienrechtliche Gleichbehandlung professioneller Anwender und privater Endverbraucher nicht sinnvoll und stellt eine Missachtung der Berufsausbildung und eine Diskreditierung des Handwerks in Deutschland dar. Defizite in der europäischen Harmonisierung des Arbeitsschutzes sollten direkt adressiert und nicht durch das Chemikalienrecht kompensiert werden. 


1 „Im EU-Rechtsrahmen für Chemikalien bedeutet das „allgemeine Konzept für das Risikomanagement“, dass auf der Grundlage der gefährlichen Eigenschaften der Chemikalie und allgemeiner Erwägungen zur Exposition (verbreitete Verwendungen, Verwendungen in für Kinder bestimmten Produkten, schwierig zu kontrollierende Exposition) automa-tisch vorab festgelegte Risikomanagementmaßnahmen (z. B. Verpackungsvorschriften, Beschränkungen, Verbote usw.) getroffen werden.“ – Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit 

2 “Introducing measures such as the “generic approach to risk management” or a generic MAF—in their proposed generality—will clearly result in a significant quality loss of chemical risk assessment in the EU. It is foreseeable that in the end this will lead to ill-prepared regulatory proposals, the scientific inadequacies of which will eventually have to be dealt with at the “green table” in the REACH committee or in court and might even result in an overall failure of the proposed regulation.” Herzler et al., The “EU chemicals strategy for sustainability” questions regulatory toxicology as we know it: is it all rooted in sound scientific evidence?, Archives of Toxicology (2021) 95:2589–2601, 
https://doi.org/10.1007/s00204-021-03091-3   

3 Barile et al., The EU chemicals strategy for sustainability: in support of the BfR position, Archives of Toxicology 
(2021) 95:3133–3136 https://doi.org/10.1007/s00204-021-03125-w 

4 „A toxicological health risk assessment approach has been established and successfully worked worldwide for dec-ades. Some of the potential changes in chemicals legislation, e.g., for endocrine disruptors as proposed by the EU Commission, lead to an even stronger emphasis on the intrinsic hazard properties of substances as a regulatory ba-sis (Doe et al. 2021). This would have potentially far-reaching regulatory consequences, some of which would be su-perfluous from a health risk perspective and without a sound toxicological basis.” Batke et al., Archives of Toxicology https://doi.org/10.1007/s00204-022-03227-z  

5 z.B. Verordnung über die Berufsausbildung zum Maler und Lackierer und zur Malerin und Lackiererin (Maler- und Lackiererausbildungsverordnung - MalerLackAusbV) 

6 Economic Analysis of the Impacts of the  Chemicals Strategy for Sustainability, https://cefic.org/app/up- loads/2021/12/Economic-Analysis-of-the-Impacts-of-the-Chemicals-Strategy-for-Sustainability-Phase-1.pdf