Position zur Anwendung des allgemeinen Ansatzes für das Risikomanagement auf gewerbliche Anwender
Hintergrund
Der allgemeine Ansatz für das Risikomanagement basiert auf dem Grundsatz, dass allein die intrinsischen[1] Eigenschaften von Stoffen ausschlaggebend für regulatorische Maßnahmen, wie beispielsweise Verwendungsverbote sind. Es findet in diesem Fall keine Risikobewertung statt und es werden somit auch nicht die Bedingungen und eventuell notwendige Risikomanagement-maßnahmen für eine sichere Verwendung ermittelt. Der sonst unter der REACH-Verordnung und im europäischen Chemikalienrecht übliche Risiko-Ansatz kommt beim allgemeinen Ansatz für das Risikomanagement nicht zur Anwendung.
Gemäß Artikel 68, Absatz 2 der REACH-Verordnung wird der allgemeine Ansatz für das Risikomanagement bereits im aktuellen Rechtrahmen angewendet, wobei dieser bisher auf Stoffe mit CMR1-Eigenschaften der Kategorien 1A und 1B und auf die Verwendung durch den privaten Endverbraucher eingeschränkt ist.
Geplante Änderungen im Rahmen der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (CSS)
Das umfangreiche Maßnahmenpaket unter der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (CSS) beinhaltet eine grundlegende Überarbeitung der REACH-Verordnung. Dabei soll die Anwendung des allgemeinen Ansatzes für das Risikomanagement in zwei Richtungen ausgeweitet werden:
- Die intrinsischen1 Stoffeigenschaften als Ausgangspunkt für die Anwendung des Ansatzes sollen im ersten Schritt von derzeit CMR[2], Kat. 1A/1B zusätzlich auf endokrin-wirkende Stoffe und Stoffe mit PBT[3]- und vPvB[4]-Eigenschaften ausgeweitet werden. In einem zweiten Schritt wird eine weitere Ausweitung auf atemwegssensibilisierende, immuno- und neurotoxische Stoffe, sowie auf Stoffe mit spezifischer Zielorgan-Toxizität (STOT[5]) geprüft.
- Zusätzlich soll der Anwendungsbereich des allgemeinen Ansatzes für das Risikomanagement von Produkten für den privaten Endverbraucher auf Produkte für die Verwendung im gewerblichen Bereich ausgeweitet werden. Dadurch könnte der gefahren- und nicht risikobasierte Ansatz grundsätzlich für alle Bauprodukte (Gemische und Erzeugnisse) zur Anwendung kommen, die Stoffe mit den zuvor genannten Stoffeigenschaften enthalten. Die Europäische Kommission vertritt den Standpunkt, dass gewerbliche Verwender im Vergleich zu industriellen Verwendern, nicht dem gleichen Risikomanagement unterliegen, die Produkte aber im Vergleich mit dem privaten Verbraucher häufiger anwenden. Deshalb soll nach Ansicht der Kommission der allgemeine Ansatz für das Risikomanagement für den gewerblichen Anwender in der gleichen Form wie für den privaten Verbraucher zur Anwendung kommen.
Position der Deutschen Bauchemie
Die Ausweitung des allgemeinen Ansatzes für das Risikomanagement auf weitere Gefahrenklassen würde die Anzahl der relevanten Rohstoffe und damit die Anzahl der betroffenen Bauprodukte deutlich erhöhen. Teilweise sind die Kriterien für neue Gefahrenklassen, wie z.B. für endokrin-wirkende Stoffe noch nicht festgelegt worden, was dazu führt, dass der Umfang möglicher Auswirkungen schwer abschätzbar ist und Rechtsunsicherheit entsteht. Absehbar ist allerdings bereits, dass die, mit ihren herausragenden Eigenschaften im Baubereich vielfältig verwendeten Reaktionsharze auf Basis von Polyurethan-, Epoxid- und MMA[6]-Harzbasis zu möglichen Kandidaten gehören, deren Anwendung durch den allgemeinen Ansatz für das Risikomanagement verboten oder beschränkt werden könnte.
Als besonders kritisch und unangemessen wird die Ausweitung auf Produkte zur gewerblichen Verarbeitung gesehen. Damit würden Produkte, die über DIY[7]-Märkte an private Endverbraucher abgegeben werden, mit Produkten, die im gewerblichen Bereich durch geschulte Fachkräfte verarbeitet werden, gleichgestellt und denselben Beschränkungen oder Verboten unterworfen
Im Gegensatz zur Anwendung durch Privatpersonen, hat man es im gewerblichen Bereich mit – auch im Hinblick auf das Arbeiten mit eingesetzten chemischen Stoffen – geschulten Arbeitnehmern zu tun, die im Zuge ihrer beruflichen Tätigkeit vorgegebene Risikomanagementmaßnahmen wie beispielsweise technische und persönliche Schutzausrüstungen anwenden. Basis für die Festlegung geeigneter Schutzmaßnahmen ist eine Gefährdungsbeurteilung zur systematischen Ermittlung und Bewertung aller relevanten Gefährdungen.
Persönliche Schutzausrüstung für gewerbliche Anwendungen steht Privatpersonen meist nicht zur Verfügung und bereits die Anschaffungskosten verhindern häufig, dass eine derartige Ausstattung im Verbraucherbereich erwartet werden kann. Darüber hinaus fehlt für private Verwendungen der Rechtsrahmen zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen und der daraus abgeleiteten Unterweisungen zur sicheren Verwendung und zur Umsetzung ggf. notwendiger Risiko-managementmaßnahmen. Daher sind Schutzmaßnahmen und Expositionsminderungs-maßnahmen im gewerblichen und im privaten Bereich nicht miteinander vergleichbar.
Zur Identifizierung der sicheren Verwendungsbedingungen und den eventuell erforderlichen Risikomanagementmaßnahmen ist eine stoff- und anwendungsspezifische Risikobewertung erforderlich. Durch die Anwendung des allgemeinen Ansatzes für das Risikomanagement würde, diese Risikobewertung wegfallen und es würden direkt Beschränkungen oder Verbote festgelegt werden. Hierdurch würden Produkte und deren Anwendungen unnötig reglementiert und eingeschränkt werden, obwohl eine sichere Verwendung gegeben wäre.
Weiterhin ist zu beachten, dass man es bei gewerblichen Verwendungen ausschließlich mit gesunden Arbeitnehmern zu tun hat, die gemäß gesetzlicher Regelungen unter arbeitsmedizinischer Kontrolle stehen, wohingegen der Allgemeinbevölkerung auch kranke und alte Personen sowie Säuglinge und Kleinkinder angehören, für die naturgemäß ein höheres Schutzniveau erforderlich ist.
Aufgrund der geschilderten Unterschiede zwischen privaten und gewerblichen Anwendungen ist eine Gleichstellung dieser beiden Bereiche nicht angemessen und nicht zielführend. Würde dieser Weg beschritten werden, könnte dies dazu führen, dass für die gewerblichen Verwendungen in Bauindustrie und Baugewerbe nur noch Produkte zur Verfügung stehen, die auch dem privaten Endverbraucher im DIY-Markt angeboten werden und für dessen Anwendungen geeignet sind Dies hätte zur Folge, dass in vielen Bereichen der aktuelle Stand der Bautechnik nicht aufrechterhalten werden könnte. Gerade hochqualifizierte Handwerks- und Meisterberufe wären dadurch in ihrem Leistungsspektrum nicht mehr wie bisher von Tätigkeiten, die durch Ungelernte ausgeführt werden können, zu differenzieren.
Sofern in Einzelfällen auch für gewerbliche Verwendungen Regulierungsbedarf besteht, können Verwendungsbedingungen und Risikomanagementmaßnahmen für bestimmte Stoffe und deren Verwendungen auch jetzt schon durch ein reguläres Beschränkungsverfahren im aktuellen Rechtsrahmen (REACH) selektiv geregelt werden, wie z. B. im Fall der Diisocyanate kürzlich erfolgt.
Deutsche Bauchemie e.V.
Frankfurt, 25. November 2021
[1] Intrinsische Eigenschaften: Innere Eigenschaften eines Stoffes unabhängig von Menge und Verwendungsbedingungen
[2] CMR: carcinogenic, mutagenic and reprotoxic (krebserregend, erbgutverändernd und fortpflanzungsgefährdend
[3] PBT: Persistent, Bioaccumulative, Toxic (persistent (P), bioakkumulierend (B) und toxisch (T))
[4] vPvB: very Persistent and very Bioaccumulative (sehr persistent (vP) und sehr bioakkumulierend (vB))
[5] STOT: specific target organ toxicity (spezifische Zielorgantoxizität)
[6] MMA-Harze: Methylmethacrylat-Harze
[7] DIY: Do It Yourself
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Martin Glöckner
Deutsche Bauchemie
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