Sequentielle Implementierung von Beschränkungen nicht-eingestufter Stoffe
Aus Sicht von nachgeschalteten Anwendern erfordern Beschränkungen von Stoffen und Gemischen, die nicht als gefährlich eingestuft sind, einen sequenziellen Implementierungsprozess.
Problematik
Im Zusammenhang mit der Konsultation zur PFAS-Beschränkung und der Vorbereitung auf die Umsetzung der Mikroplastik-Beschränkung wird aus der Perspektive von nachgeschalteten Anwendern ein systematisches Problem bei der Umsetzung dieser Art von stoffgruppenbezogenen Beschränkungen sichtbar.
- Für die von den Beschränkungen betroffenen Stoffe/Stoffgruppen gelten bislang keine Kennzeichnungs- bzw. Deklarationspflichten, die es den nachgeschalteten Anwendern ermöglichen würden, PFAS bzw. Mikroplastik in Vorprodukten zu identifizieren. Formulierer können deshalb derzeit häufig nicht eindeutig bewerten, ob ein (Roh)Stoff den Kriterien für Mikroplastik bzw. PFAS entspricht bzw. ob ein, als Rohstoff eingesetztes Gemisch Mikroplastik bzw. PFAS enthält.
- Um zu bewerten, ob ein, vom Formulierer hergestelltes Gemisch von der entsprechenden Beschränkung betroffen ist und zur Identifikation der eigenen Pflichten, benötigt der nachgeschaltete Anwender daher zusätzliche Informationen von seinen Lieferanten.
- Entsprechend der Mikroplastik-Beschränkung müssen Lieferanten diese, vom nachgeschalteten Anwender benötigten Informationen spätestens 2 Jahre nach dem Inkrafttreten der Beschränkung an den Kunden übermitteln.
Zum gleichen Stichtermin muss aber auch der nachgeschaltete Anwender wiederum seinen Kunden bestimmte Informationen zur Verfügung stellen, die vorher entwickelt und auf die Verpackung oder das Etikett gebracht werden müssen.
Diese Rechtslage führt zur inakzeptablen Situation, dass in dem durchaus realistischen Fall, dass der Lieferant erst zum Ende der 2-Jahresfrist die entsprechenden Informationen an seine Kunden (industrielle nachgeschaltete Anwender/Formulierer) übermittelt, für die nachgeschalteten Anwender keine Zeit verbleibt, in der sie die eigenen Pflichten identifizieren, die benötigten Informationen vorbereiten, die Kennzeichnung der Verpackung oder des Etiketts ändern und die eigenen Kunden informieren können. Der Formulierer von Mikroplastik- bzw. PFAS-haltigen Gemischen gerät so zwangsweise über einen nennenswerten Zeitraum in die Situation, dass er seine rechtlichen Verpflichtungen nicht erfüllen kann. - Die beschriebene Situation führt auch dazu, dass die nachgeschalteten Anwender nicht die Möglichkeit erhalten, im Zuge der öffentlichen Konsultationen zu entsprechenden Beschränkungen ihre Stellungnahmen einzureichen und auf mögliche Probleme aufmerksam zu machen, da ihnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Informationen vorliegen, die notwendig wären, um die eigene Betroffenheit zu bewerten und mögliche Probleme zu identifizieren. Wichtige Verwendungen, die als „Essential Uses“ qualifiziert sein können, werden somit nicht rechtzeitig in das Verfahren eingebracht.
Lösungsansätze
In den skizzierten Fällen könnte die Situation durch einen sequenziellen Implementierungsprozess entschärft werden.
- Im ersten Schritt sollten die (Roh)Stoff-Lieferanten ihren Kunden (z.B. industrielle nachgeschaltete Anwender bzw. Formulierer von Gemischen) die erforderlichen Informationen übermitteln, die die industriellen nachgeschalteten Anwender benötigen, um ihre eigenen Pflichten zu identifizieren. Für diesen Schritt sollte eine angemessene Frist festgelegt werden.
- Im nächsten Implementierungsschritt sollten die industriellen nachgeschalteten Anwender (z.B. Formulierer von Gemischen) ihre Pflichten identifizieren und ggf. die festgelegten Maßnahmen umsetzen. Für diesen Schritt muss eine separate, ausreichend lange Frist festgelegt werden. Diese Frist darf sich nicht mit der Frist für die (Roh-)Stoff-Lieferanten überschneiden, sondern muss sich daran anschließen.
- In der Praxis tritt häufig der Fall auf, dass in einer Lieferkette mehrere Formulierer (industrielle nachgeschaltete Anwender) aufeinander folgen. Um dies zu berücksichtigen, sollte ein zeitlich gestaffelter Prozess etabliert werden, mit dem sichergestellt wird, dass die notwendigen Informationen über die gesamte Lieferkette kommuniziert werden und dass jedem der aufeinander folgenden Akteure einer Lieferkette ausreichend Zeit verbleibt, auf Basis der Upstream-Informationen die eigenen Pflichten zu identifizieren und umzusetzen.
- Nach Ablauf dieses sequenziellen Lieferketten-Kommunikationsprozesses, sollte seitens der Europäischen Kommission eine zusätzliche öffentliche Konsultation eingeplant werden, die insbesondere nachgeschalteten Anwendern (z.B. Formulierern von Gemischen) die Möglichkeit bietet - in Kenntnis der dazu notwendigen und inzwischen gewonnenen Informationen - auf Probleme, unangemessen hohe Hürden und wichtige Verwendungen aufmerksam zu machen. Um die Ergebnisse dieser Konsultation bei Bedarf angemessen umsetzen zu können, sollte ein Weg gefunden werden, den Rechtstext der Beschränkung zeitnah zu ändern, wenn im Zuge der Konsultation seitens der Europäischen Kommission Änderungsbedarf identifiziert wurde.
- Bei der Anwendung des „Essential-Use-Konzeptes“ zur Identifizierung von Ausnahmen von einer Beschränkung sollte beachtet werden, dass aus Sicht von Formulierern nicht immer die Substituierbarkeit des jeweiligen Stoffes selbst, sondern die Substituierbarkeit des Rohstoffes, der diesen Stoff enthält, entscheidend ist. Zum Beispiel stellt sich für Formulierer von End-Produkten aktuell nicht nur die Frage, ob PFAS als primärer Rezepturbestandteil ersetzbar sind. Häufig stellt sich vielmehr die Frage, ob für PFAS-haltige Rohstoffe PFAS-freie Alternativen angeboten werden und ob diese in den entsprechenden Produkten eine technisch vergleichbare Leistungsfähigkeit besitzen würden und der Austausch ökonomisch vertretbar ist. Die hierzu notwendigen anwendungstechnischen und ökonomischen Prüfungen, müssen in jedem Einzelfall durchgeführt werden und sind aufwendig und zeitraubend.
Der entsprechende Zeitbedarf sollte bei der Festlegung der Fristen für die nachgeschalteten Anwender angemessen berücksichtigt werden.
Weiterhin sollte das „Essential-Use-Konzept“ vor diesem Hintergrund nicht nur auf Stoff-Ebene, sondern auf allen Ebenen der betroffenen Lieferketten angewendet werden. Dies umfasst auch die Ebenen der Gemisch-Hersteller (Formulierer).
Deutsche Bauchemie e.V.
Frankfurt, 28. September 2023
Die Deutsche Bauchemie vertritt seit 75 Jahren die Interessen ihrer Mitgliedsfirmen und deutschen Tochterunternehmen ausländischer Konzerne gegenüber der Fachöffentlichkeit, Politik, Behörden, Wissenschaft und Medien. Der Industrieverband gehört als Fachorganisation zum Verband der Chemischen Industrie (VCI). Die mehr als 130 Mitgliedsunternehmen erwirtschafteten 2022 mit rund 32.000 Beschäftigten einen Umsatz von 8,9 Milliarden Euro. Das entspricht der Hälfte des europäischen Marktvolumens und etwa einem Viertel des Weltmarktes.
Hintergrund
Als Teil des Maßnahmenpaktes der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit verfolgt die Europäische Kommission das Ziel, Beschränkungen nicht mehr nur für einzelne Stoffe, sondern zunehmend auch für Stoffgruppen einzuführen. Wie die ersten Fälle zeigen, können solche Beschränkungen sehr große Gruppen von Stoffen und Gemischen umfassen, die nicht als gefährlich eingestuft sind und für die es somit zuvor keinerlei Kennzeichnungs- oder Deklarationspflichten gab.
Erste Beispiele für diese Art von chemikalienrechtlichen Regelungen sind die kürzlich veröffentlichte Beschränkung von synthetischen Polymermikropartikeln (Mikroplastik) und die aktuell in der Diskussion befindliche Beschränkung von per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS).
Downloads
Ihr Ansprechpartner
Martin Glöckner
Deutsche Bauchemie
martin.gloeckner[at]vci.de
Tel. 069 / 25 56 - 16 33