Position zur Revision der REACH-Verordnung im Zuge der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit

Die Deutsche Bauchemie und Ihre Mitgliedsunternehmen unterstützen die Ziele des European Green Deal und leisten mit ihren Produkten einen aktiven Beitrag zur angestrebten Klimaneutralität und einer verbesserten Ressourceneffizienz.

Jedoch ist eine Abwägung zwischen nachhaltigen technischen Lösungen zur Steigerung der Energie-, CO2- und Ressourceneffizienz auf der einen Seite und dem Verzicht auf den Einsatz von Stoffen mit bestimmten Gefährlichkeitsmerkmalen auf der anderen Seite zu treffen. Der unter REACH bewährte risiko-basierte Ansatz ist dabei am besten geeignet, um ein angemessenes Gleichgewicht zu finden.

Die Deutsche Bauchemie nimmt zu den einzelnen Aspekten der REACH-Revision wie folgt Stellung:

 

Ausweitung des „Generic Approach to Risk Management“ (GRA) auf gewerbliche Verwendungen und zusätzliche Gefahrenklassen

Es besteht die große Gefahr, dass nachhaltige, technische Lösungen verloren gehen, wenn der Generic Approach to Risk Management wie geplant erweitert und gestärkt wird. Obwohl die sichere Verwendung nachgewiesen wurde, würde das Verfolgen eines rein gefahren-basierter Ansatzes, wie ihn der Generic Risk Approach darstellt, diese Verwendungen bestimmter Stoffe verbieten und damit den aktuellen Stand der Technik gefährden.

Konkret würde die Ausweitung des allgemeinen Ansatzes für das Risikomanagement (GRA) auf weitere Gefahrenklassen die Anzahl der relevanten Rohstoffe und damit die Anzahl der betroffenen bauchemischen Produkte deutlich erhöhen. Teilweise sind die Kriterien für neue Gefahrenklassen, wie z.B. für endokrin-wirkende Stoffe noch nicht festgelegt worden, was dazu führt, dass mögliche Auswirkungen schwer abschätzbar sind und Rechtsunsicherheit entsteht. Absehbar ist allerdings bereits, dass die, mit ihren herausragenden Eigenschaften im Baubereich vielfältig verwendeten Reaktionsharze auf Basis von Polyurethan-, Epoxid- und MMA-Harzen zu möglichen Kandidaten gehören, deren Anwendung durch den GRA verboten werden könnte.

Als besonders kritisch und unverhältnismäßig wird die geplante Ausweitung auf Produkte zur gewerblichen Verarbeitung gesehen. Damit würden Produkte, die über DIY-Märkte an private Endverbraucher abgegeben werden, mit Produkten, die im gewerblichen Bereich durch geschulte Fachkräfte verarbeitet werden, gleichgestellt und denselben Verboten unterworfen werden. Im Gegensatz zur Anwendung durch Privatpersonen, wenden geschulte Arbeitnehmer etwaig vorgegebene Risikomanagementmaßnahmen wie beispielsweise technische und persönliche Schutzausrüstungen an. Arbeitgeber sind bereits heute durch europäische und nationale gesetzliche Auflagen dazu verpflichtet, mögliche Gefährdungen beim Umgang mit chemischen Stoffen zu bewerten, ihre Mitarbeiter entsprechend zu unterweisen, angemessene Schutzmaßnahmen zu definieren und umzusetzen sowie ggf. persönliche Schutzausrüstung bereitzustellen. Für gewerbliche Verwender gelten daher völlig andere Rahmenbedingen als für private Endverbraucher, was im Hinblick auf die Anwendung des GRA unbedingt zu berücksichtigen ist.

Um sichere Verwendungsbedingungen und ggf. erforderlicher Risikomanagementmaßnahmen zu identifizieren ist eine stoff- und anwendungsspezifische Risikobewertung erforderlich. Durch die Anwendung des allgemeinen Ansatzes für das Risikomanagement würde, diese Risikobewertung wegfallen und es würden direkt Verbote festgelegt werden. Hierdurch würden Produkte, die für die Aufrechterhaltung des Standes der Technik essenziell sind, wegfallen, obwohl eine sichere Verwendung der Produkte mit den in der REACH-Verordnung festgelegten Verfahren nachgewiesen wurde.

Für die gewerblichen Verwendungen in Bauindustrie und Baugewerbe würden ggf. nur noch Produkte zur Verfügung stehen, die auch dem privaten Endverbraucher im DIY-Markt angeboten werden. Gerade hochqualifizierte Handwerks- und Meisterberufe könnten sich nicht mehr von Ungelernten und privaten Verbrauchern durch die besondere Funktionalität und Leistungsfähigkeit der Profiprodukte differenzieren.

Die Deutsche Bauchemie tritt für die Beibehaltung der bewährten Praxis ein: Sollte es für gewerbliche Verwendungen in Einzelfällen regulatorischen Handlungsbedarf geben, dann können – in einem Beschränkungsverfahren - spezifische Verwendungsbedingungen und Risikomanagementmaßnahmen für bestimmte Stoffe und deren Verwendungen selektiv geregelt werden. Dies ist z.B. im Fall der Diisocyanate kürzlich erfolgt.

 

Essential-Use-Konzept

Das „Essential-Use-Konzepts“ birgt die große Gefahr, dass im Zuge eines regulatorischen Prozesses Entscheidungen für ganz Europa getroffen werden und dabei regionale, kulturelle, ökonomische und soziale Faktoren nicht angemessen berücksichtigt werden. Produkte aufgrund einer solchen, nicht objektivierbaren Entscheidung vom europäischen Binnenmarkt auszuschließen, erscheint unangemessen und sollte grundsätzlich überdacht werden. Außerdem erscheint fraglich, ob das ursprünglich nur für die Verwendung von Treibhausgasen entwickelte Konzept für die Übertragung in das allgemeine Chemikalienrecht geeignet und auf vielstufige Wertschöpfungsketten übertragbar ist.

Das „Essential-Use-Konzept“ soll unter anderem dazu dienen, Ausnahmen von „GRA-Beschränkungen“ gemäß Artikel 68(2) zu identifizieren. Im Zuge der Entwicklung von „GRA-Beschränkungen“ gemäß Artikel 68(2) sollte neben dem „Essential-Use-Konzept“ ein risikobasiertes Konzept zur Identifizierung von Ausnahmen angewendet werden. Verwendungen von Stoffen, die nach etablierten Methoden als sicher bewertet wurden, dürfen nicht beschränkt bzw. defacto verboten werden.

 

Mixture-Assessment-Factors (MAF)

Die Europäische Kommission beabsichtigt, einen Mixture Assessment Factor (MAF) in die REACH-Verordnung aufzunehmen, um kombinierte Expositionen gegenüber unbeabsichtigt auftretenden Gemischen zu berücksichtigen.

Nach Ansicht der Deutschen Bauchemie wird die Anwendung eines pauschalen MAF für alle Stoffe und alle Verwendungenden Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit nicht verbessern. Stattdessen sollten spezifische MAF nur für diejenigen Stoffe angewendet werden, die tatsächlich in der Umwelt auftreten und bei denen von nennenswerten Kombinationseffekten auszugehen ist. Die aktuelle Diskussion hat gezeigt, dass dies nur bei einer geringen Anzahl von Stoffen der Fall sein könnte. Entsprechend sollte die Anwendung eines MAF auf die relevanten Fälle eingeschränkt und spezifiziert werden.

Sollten verschiedene MAFs in die REACH-Verordnung aufgenommen werden, sollten diese nur auf Stoffe angewandt werden, die aufgrund ihrer Eigenschaften in ein unbeabsichtigtes Gemisch gelangen können und, falls dies der Fall ist, zur Toxizität des Gemisches beitragen. Da die Wahrscheinlichkeit einer möglichen unbeabsichtigten Co-Exposition gegenüber chemischen Stoffen in der Umwelt bei Stoffen, die bioakkumulieren können, bzw. bei persistenten Stoffen am größten ist, sollte der Schwerpunkt eines möglichen MAF-Konzeptes auf bioakkumulierbaren und persistenten Stoffen liegen, die in großen Mengen und in breit gestreuten Anwendungen verwendet werden.

Ein MAF sollte nicht auf abgeleitete DNEL-/PNEC-Werte (Derived No-Effect Level/Predicted No-Effect Concentration) angewandt werden, da er dann auch für die Risikobewertung von beabsichtigten Gemischen gelten würde und unterschiedliche, verwendungsspezifische Expositionsszenarien nicht berücksichtigen würde. Gegebenenfalls könnte es zweckmäßig sein, einen MAF auf bestimmten Risikocharakterisierungskoeffizienten (RCR), die für konkrete, als kritisch bewertete Verwendungen abgeleitet wurden, anzuwenden.

 

Meldepflichten für nachgeschaltete Anwender - Downstream User (DU)

Im Zusammenhang mit zusätzlichen Informationsanforderungen im Hinblick auf die Verwendung und Exposition von Stoffen wird über unterschiedliche Optionen beraten. Unter anderem wird die Einführung verbindlicher Berichtspflichten für nachgeschaltete Anwender erwogen. Demnach könnten nachgeschaltete Anwender (insbesondere Formulierer) dazu verpflichtet werden, nach dem Erhalt eines Sicherheitsdatenblattes für einen registrierten Stoff, Angaben zu den Verwendungen, der technischen Funktion des Stoffes und der verwendeten Menge an die ECHA zu melden.

Bei der möglichen Festlegung von verbindlichen Berichtspflichten für Formulierer (nachgeschaltete Anwender) sollten unbedingt folgende Aspekte berücksichtigt werden.

  • Die technische Funktion von Stoffen in Gemischen gehört häufig zu den vertraulichen Geschäftsinformationen der Formulierer und diese Information ist unbedingt zu schützen.
  • Weiterhin muss beachtet werden, dass die Angabe der technischen Funktion von Stoffen immer ein Stück weit generisch ist und es ein Trugschluss wäre, wenn man davon ausgehen würden, dass Stoffe mit identischer technischer Funktion ohne weiteres gegeneinander ausgetauscht werden könnten.
  • In der laufenden Debatte wurde zurecht festgestellt, dass der entstehende Aufwand stark davon abhängt, ob die relevanten Informationen in digitaler Form vorliegen und in den Lieferketten digital kommuniziert werden. Die Einführung digitaler, Kommunikationsstandards ist daher eine Voraussetzung, um den Aufwand in einem akzeptablen Rahmen zu halten.
  • Die Umsetzung der Meldepflichten gemäß Anhang VIII der CLP-Verordnung hat in erschreckender Weise gezeigt, wie groß der Implementierungsaufwand für betroffene Unternehmen ist. Vor diesem Hintergrund muss dringend darauf geachtet werden, dass verbindliche Meldepflichten für nachgeschaltete Anwender möglichst vermieden bzw. ggf. auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt werden. Der, für nachgeschaltete Anwender entstehende Aufwand sollte in der Folgenabschätzung unbedingt detailliert untersucht und bewertet werden. Die One-in-One-Out-Regel muss bei der Einführung zielgerichtet angewandt werden.
  • Für Formulierer von Gemischen, die eingestufte Stoffe verwenden ist es tägliche Praxis, dass sie sich an den Konsultationen, die im Vorfeld der Festlegung von regulatorischen Risikomanagementmaßnahmen (z.B. Beschränkungen, CLH, EU-OEL) durchgeführt werden, beteiligen. Sehr häufig wird der Input der betroffenen Sektoren über die entsprechenden Sektorverbände organisiert. Durch dieses bewährte Vorgehen wird sichergestellt, dass die jeweiligen Behörden und Agenturen nicht mit einer Flut von nicht validierten, im schlimmsten Fall widersprüchlichen Informationen konfrontiert werden, sondern bereits validierte Informationen erhalten. Dieses Verfahren sollte auch weiterhin möglich sein, und nicht durch eine für jeden einzelnen nachgeschalteten Anwender geltende Meldepflicht ersetzt werden.

 

Environmental Footprint

Für bauchemische Produkte (Gemische), die als Bauprodukte verwendet werden, besteht bereits eine erhebliche Nachfrage nach Umweltproduktdeklarationen. Im Zuge der anstehenden Überarbeitung der Bauproduktenverordnung, der kommenden Ökodesign-Verordnung für Nachhaltige Produkte und dem Legislativvorschlag zur Belegung von Umweltaussagen wird die Nachfrage nach Environmental Footprints für Produkte weiter steigen. Zur Ermittlung des Environmental Footprints von Produkten werden LCA-Daten für die eingesetzten Stoffe benötigt. Die stoffbezogenen LCA-Daten sollten auf eine „cradle-to-gate“-Betrachtung begrenzt sein, damit die nachgeschalteten Anwender die Möglichkeit haben, ihre spezifischen Verwendungen und die relevanten End-of-Life-Szenarien zu ergänzen. Obwohl der Bedarf an stoffspezifischen LCA-Daten besteht und weiter steigen wird, vertritt die Deutsche Bauchemie die Ansicht, dass REACH nicht der passende Rechtrahmen für die Ermittlung und Kommunikation von Environmental Footprints (cradle-to-gate) für Stoffe ist. Es sollte ein anderer europäischer Rahmen gefunden werden, in dem die benötigten stoff-bezogenen Daten nach einheitlichen Methoden bereitgestellt werden. Zur Umsetzung der o.g. produktbezogenen Regelungen wäre eine europäische Datenbank mit den erforderlichen Hintergrunddaten der relevanten Stoffe erforderlich und wurde im Rahmen der genannten Initiativen teilweise bereits diskutiert.

 

Registrierungspflicht für bestimmte bedenkliche Polymere

In der bauchemischen Industrie ist es üblich, Polymere für bestimmte Anwendungen oder nach Kundenwunsch herzustellen bzw. zu modifizieren. Hierbei entstehen neue Polymere, die im Zuge einer möglichen Registrierungspflicht für Polymere registrierungspflichtig werden könnten. Die Anzahl der auf diesem Wege hergestellten Polymere ist recht hoch, wobei die Mengen der einzelnen Polymere eher niedrig sind. Aufgrund dieses Verhältnisses sollten die Datenanforderungen nach Mengenbändern gestaffelt und eine Registrierung erst ab einer Mengenschwelle deutlich über 1 to/Jahr notwendig werden. Weiterhin sollten zur Sicherstellung der notwendigen Praktikabilität pragmatische Gruppierungsregeln festgelegt werden. Nur so haben die Unternehmen der Bauchemie (häufig KMU), die unter REACH bisher überwiegend als nachgeschaltete Anwender agierten, eine Chance ihren neuen Pflichten als Polymerregistranten nachzukommen.

Nachfolgend weitere Kommentare zu spezifischen Aspekten einer möglichen Polymerregistrierung

  • Notifizierung des Polymerstatus
    Es ist angedacht, dass Hersteller den Polymerstatus für alle, auch die nicht registrierungspflichtigen Polymere, an die ECHA melden müssen. Sollte diese Meldepflicht eingeführt werden, muss diese auf ein Minimum bereits vorhandener Daten beschränkt sein. Es wäre unakzeptabel und unverhältnismäßig, dass Hersteller für nicht registrierungspflichtige Polymere bisher nicht vorhandene Daten generieren müssten, um der neuen Meldepflicht nachzukommen. Auch ohne die Generierung neuer Daten wäre die Implementierung der Meldepflicht für die betroffenen Unternehmen recht aufwendig und dieser Aufwand sollte im Zuge der Folgenabschätzung detailliert untersucht und bewertet werden. Auch hier sollte die One-in-One-Out-Regel zur Anwendung kommen.

  • Ausnahme für „polymeric Precursor“ unter angemessen kontrollierten Bedingungen
    Der Kriterienkatalog für die Identifizierung von registrierungspflichtigen Polymeren sieht eine Ausnahme für sogenannte „polymeric Precursor“ vor. Die diskutierte Einschränkung auf „strictly controlled conditions“ – analog zu den Bedingungen für Zwischenprodukte – ist nicht zielführend und nicht notwendig. Polymere Vorprodukte besitzen andere Gefährlichkeitsmerkmale als Zwischenprodukte und dürfen diesen auf keinen Fall gleichgestellt werden. Für polymere Vorprodukte müssen andere Kriterien für angemessen kontrollierte Verwendungsbedingungen als Voraussetzung für die Anwendung dieser Ausnahme festgelegt werden. Sollten „strictly controlled conditions“ als Voraussetzung für polymere Vorprodukte festgelegt werden, könnte diese Ausnahme in der bauchemischen Industrie nicht angewendet werden.

  • EU-Kriterien für „Polymers of low concern” (PLC)
    Eine weitere Ausnahme von der Polymerregistrierung ist für Polymere vorgesehen, die die Kriterien eines „Polymers of low concern“ (PLC) erfüllen. Bei der Festlegung der europäischen PLC-Kriterien (z.B. dem maximalen Oligomergehalt) sollten unbedingt die bereits existierenden PLC-Kriterien aus anderen Jurisdiktionen außerhalb der EU (z.B. Australia, Kanada, USA) übernommen werden.

 

Deutsche Bauchemie e.V.

Frankfurt, 7. April 2022

Hintergrund

Die Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (CSS) der Europäischen Kommission ist ein wesentliches Element des Europäischen Green Deal. Mit ihr wird die Weichenstellung in Richtung einer, für Mensch und Umwelt schadstofffreien Gesellschaft angestrebt. Im Zuge der CSS soll das ohnehin bereits vergleichsweise recht anspruchsvolle europäische Chemikalien- sowie Produktrecht überprüft und ggf. verschärft werden. Mit diesem Ziel werden zwischen 2021 und 2024 eine Reihe breit angelegter legislativer Initiativen ergriffen. Das Aktionspaket der CSS umfasst über 50 regulatorische Maßnahmen, die zu Verschärfungen der REACH- und der CLP-Verordnung sowie des europäischen Produktrechts führen werden.

Die Deutsche Bauchemie bezieht Stellung zur geplanten Änderung der REACH-Verordnung, die ein zentrales Element des Maßnahmenpakets der CSS ist und die für die bauchemische Industrie zu erheblichen Verschärfungen führen kann.

Ihr Ansprechpartner

Martin Glöckner
Deutsche Bauchemie
martin.gloeckner[at]vci.de
Tel. 069 / 25 56 - 16 33